top of page

DIE ERSTEN AUFSTIEGE

Ab Montag, den 12. Juni 1911 ging es dann endlich los. Der Hamburgische Correspondent berichtete in seiner Ausgabe über die erste Fahrt eines motorisierten, lenkbaren Luftschiffes über Hamburg:

 

„Heute, acht Tage nach der Ankunft des Parseval, ließ der Wind einen Aufstieg in den frühen Nachmittagsstunden höchst gewagt erscheinen. Außerhalb der Halle vergnügen sich die Besucher zu den Klängen des hamburgischen Philharmonischen Blasorchesters, und auch die fünf Restaurants vom Sagebielschen Etablissement sorgen für die leiblichen Bedürfnisse. Schon den ganzen Tag bevölkern die mit Ehrenkarten ausgestatteten Spendensammlerinnen des Kinderhilfstages in ihren blütenweißen Kleidern den Flugplatz. Eifrig werden die auf der Platzumrandung verteilten Automaten mit Münzen gefüttert, um eine der runden Stollwerk Schokoladendosen zu ergattern, auf denen ein Parseval Luftschiff im Fluge über einer Flußlandschaft abgebildet ist. Während in den Tagen zuvor der böige Wind andauernd einen Aufstieg unmöglich machte, flaute er am Abend kurz vor Sonnenuntergang plötzlich ab. Aber immer noch schien es ungewiß, ob die für den Abend geplante erste Fahrt wirklich stattfinden würde, und das Bureau in der Luftschiffhalle konnte alle diesbezüglichen Fragen nur mit einem Achselzucken beantworten – zum großen Mißvergnügen aller derer, die schon seit der Ankunft des Parseval den Aufstieg mit Ungeduld erwarteten. Gegen acht Uhr abends schien es ernst zu werden. Die zur Hilfeleistung kommandierten Soldaten gleiten die riesigen Segeltuchvorhänge am Tor der Halle auf und treffen sonstige Vorkehrungen, die auf das Klarmachen zur Abfahrt hindeuten.

Schnell spricht es sich auf dem Flugplatz herum, daß Oberleutnant Stelling sich zum Aufstieg entschlossen hat. Die zur Fahrt designierten Passagiere, unter denen sich neben Konteradmiral Lilie aus Oldenburg und Kapitänleutnant Ruete auch Journalisten von Hamburger und Kopenhagener Zeitungen sowie der dänische Hauptmann Federspiel vom Kopenhagener Aerodrom befanden, erhielten Order die Gondel zu besteigen.

Vorsichtig wurde nach den Kommandos des Ballonmeisters das Luftschiff an den Haltetauen von den Soldaten aus der Halle hinausbugsiert. Nachdem das Luftschiff gegen den aus Nordwest wehenden Wind eingestellt ist und noch um etwas Sand- und Wasserballast erleichtert wurde, ertönte das Kommando „Los!“ und erst langsam, dann immer schneller steigt der Parseval, während das Hurra der Untenstehenden die surrenden Propeller übertönt, in die Luft und tritt mit zunächst nordwestlichem Kurse seine Reise an.

In flotter Fahrt geht es in ungefähr 150 Metern Höhe bei der Stadt der Toten vorüber, wo aus dem dunklen Grün der Anlagen unzählige weiße Grabsteine hinauf schimmern. Weiter steigt der Parseval, und während wir die Alsterdorfer Anstalten überfliegen, taucht die Außenalster auf und – vorläufig noch in blaugrauem Dunst am Horizont verschwimmend – das Häusermeer Hamburgs mit seinen hochragenden Türmen.

Kühe, von dem ungewohnten aus der Höhe herabtönenden Geräusch der Propeller beunruhigt, galoppieren unruhig auf der Weide hin und her oder drängen sich schutzsuchend an die Knicks. Immer herrlicher wird das Panorama, je mehr man sich der Alster und den dort liegenden Stadtteilen nähert. Man sieht, wie in den Straßen und aus den Häusern, die wie ausgepacktes Spielzeug erscheinen, die Menschen herauf winken und wie die liebe Jugend, um das lang ersehnte Schauspiel eines fahrenden Luftschiffes möglichst lange zu genießen, in den Straßen eine wilde Jagd veranstaltet.

Die Alster wird erreicht, nachdem die preußische Gesandtschaft an der Bellevue überflogen wurde, und der Parseval zieht in stolzem Fluge über das Uhlenhorster Fährhaus, dessen Kellner mit ihren Servietten und Tischtüchern ihre Grüße hinaufwinken. Schlanke Segeljachten tummeln sich auf der blauen Flut, die Alsterdampfer ziehen ihre gewohnte Bahn und alle bieten dem Parseval, der sich ihnen in seinem Element vorstellt, den Willkommensgruß. Eine große, eine ungeheure Freude erfaßt alle Passagiere in der Gondel, die zum ersten Male eine Reise in der Luft mit Zweck und Ziel mitmachen. Man fühlt es: die Beherrschung der Luft, das große Problem, das schon seit Jahrtausenden den Traum der Menschheit bildet, es ist doch kein leerer Wahn.

Ruhig und sicher steht Oberstleutnant Stelling, der Führer des Luftschiffes, auf seinem Posten, mit scharfem Blick alles umfassend und mit klarer und bestimmter Stimme seine Anordnungen gebend. Alle Passagiere haben das Gefühl vollständiger Sicherheit und man pflichtet einem Mitfahrer, der behauptet, daß er eine Luftreise einer Automobilreise vorziehe, aus voller Seele bei. Mittlerweile passierte das Schiff die Alsterlust und die Lombardsbrücke. In ruhiger, majestätischer Fahrt schoß das Ungetüm unbeirrt seinen Weg dahin, der nach einer kurzen Wendung über dem inneren Alsterbecken zur Jakobikirche führte. Hier machte das Luftschiff kehrt und steuerte gerade auf den Turm der Petrikirche los, den es im letzten Drittel seiner Höhe scheinbar einzurennen drohte. Doch eine leise Neigung des Ruders nach rechts erfolgte, und in einem eleganten Bogen schwebte es über der Rathausstraße hin, den Rathausturm passierend, der links liegen gelassen wurde. Konnte man auf der Hinfahrt zur Stadt nur wenige Menschen auf den Straßen sehen, so waren, nachdem man aber das Rathaus umfahren hatte, die Dächer und Balkone schwarz vor Menschen.

Die Fahrt des Parseval, die erste eines lenkbaren Luftschiffes über dem Häusermeer der Stadt Hamburg, war ein Ereignis; das bewies der Enthusiasmus, der ihm überall aus allen Fenstern, von allen Dächern und Straßen entgegengebracht wurde. Schon das surrende Geräusch der Propeller sorgte dafür, daß der dahinschwebende Luftfahrer nicht übersehen wurde. Deutlich konnten die vielen in der Gondel stehenden Passagiere erkannt werden, die lebhaft mit Tüchern hinabschwenkten. Sobald der fliegende Walfisch überall bemerkt war, begann ein Rennen hinter ihm her. Aus der Steinstraße und aus den Straßen der unteren Altstadt kamen die Jungens herbeigelaufen, zum Teil halb angezogen, im Laufen sich die Jacke oder den ein oder anderen Schuh schnell anziehend, dabei nicht vergessend, recht kräftig Hurra zu brüllen.

Weiter geht es über der Neustadt, vorüber an dem wiedererstandenen Michaelisturm, dem Wahrzeichen Hamburgs, nach St. Pauli bis zum Heiligengeistfeld, von dem aus, über den Zirkus Busch hinwegfliegend, die Elbe erreicht wird, deren Dampfer durch ihre Dampfpfeifen Grüße entbieten. Über die Hafenanlagen am Sandthor und die Katharinenkirche vorbei wurde darauf der große Turm der Michaeliskirche in einem großen Bogen umfahren und nun wieder der Petrikirchturm aufs Korn genommen, der als Wendemarke benutzt wurde, um wieder der Binnenalster einen Besuch abzustatten. Hier hatte sich die Menschenmenge Kopf an Kopf zusammen geschoben, die den Segler der Lüfte gebührend anstaunte, und der nach einmaligem Hin- und Herfahren dann die Richtung nach der Uhlenhorst aufnahm, dabei die Uferlinie der Außenalster sich zur Kurslinie nehmend. So schwebte er langsam dem Uhlenhorster Fährhaus zu, von dem aus die Rückreise nach Ohlsdorf angetreten wird.“

bottom of page